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71 Team Rider mit einem gemeinsamen Ziel: Speed and Emotions

Donnerstag, 30. Juni 2011

Der Psychopath in mir


Es ist Wettkampfzeit. Und welches ist das moderne digitale Kennzeichen der Vorwettkampfzeit? Richtig: Viele Blogs drehen je näher zum Wettkampf desto mehr von der monatelangen heroischen Selbstbeweihräucherungen („…die 100 coupierten Kilometer habe ich locker und flockig im 35er-Schnitt geschafft, die Form stimmt, die Beine drehen“) zur präventiven Relativierung der eigenen Leistungsfähigkeit („…das fehlende Training macht sich nun doch bemerkbar, ich muss halt meine Ziele für den Wettkampf entsprechend anpassen“). Nun, dieser Vorwettkampf-Blogbeitrag beleuchtet eine ganz andere Seite, eine dunkle Seite, eine Seite, die alle kennen und über die niemand spricht. Fachleute haben einen Ausdruck dafür: präagonale Sportlerdepression. Die letzte Woche vor dem Wettkampf ist die typische Zeit dieser psychischen Ausnahmesituation. Nennen wir es mal nicht Krankheit, obwohl das Umfeld bisweilen fast mehr darunter leidet als unter einem schwerkranken Psychopathen. Nehmen wir mein eigenes Beispiel. Eine Woche vor dem Gigathlon machen sich erste Anzeichen der präagonalen Sportlerdepression bemerkbar: Spüre ich da nicht eine Erkältung aufkommen? Irgendwie fühlt sich meine Stirnhöhle so seltsam an. Obwohl ich sonst nie erkältet bin, soll genau jetzt (im Hochsommer) eine Stirnhöhlenentzündung im Anmarsch sein, die ich womöglich noch mit Antibiotika behandeln muss. Naja, zum Glück gibt’s da all die tollen Nahrungsmittelergänzungen, welche ich das ganze Jahr über in der Küche gesammelt aber nie angerührt habe. All die Vitamin C, Vitamin E, Fischkapseln, Colostrum, Magnesiumpulver, Aminosäuren, Laktatpuffer, Basenpulver, L-Carnitin und Co. müssen ja schliesslich auch mal gegessen werden. Ganz zu schweigen von den erfolgsversprechenden Protein-Präparaten, welche die Leistungsfähigkeit zusätzlich erhöhen. Wenn das nicht hilft! Dann mal runter damit, auch wenn das Meiste schon abgelaufen ist. Während sich das Erkältungsthema auf hohem Niveau stabilisiert (jeden Morgen Schnupfen und Kopfschmerzen), tauchen neue Probleme und Fragen am Horizont auf: Soll ich für den Wettkampf nicht doch noch den Tri-Aufsatz abmontieren? Und die Laufräder? Wären die Zipp 202 nicht besser als die HED Ardennes? Naja, ich habe ja noch bis am Wettkampfmorgen Zeit mit der Entscheidung, ich kann ja den Schraubenschlüssel mit in die Wechselzone nehmen. Eine andere Entscheidung kann aber nicht aufgeschoben werden: Irgendetwas muss ich gegen die immer schwerer werdenden Beine unternehmen. Ich komme ja kaum mehr eine Treppe hoch ohne diese bleierne Schwere in den Beinen zu spüren. Wo bleibt die Spritzigkeit, die Leichtigkeit welche sonst da ist? Selbst nach harten Trainings fühle ich mit fitter als jetzt. Ich habs ja immer gesagt: Pausen bringen nichts als Probleme. Soll ich nicht doch nochmals aufs Velo und ein hartes Intervall am Berg fahren? Vielleicht hilft ja am Wettkampfmorgen ein aggressives Aufwärmprogramm? Lassen wir das, denn während dem Schreiben dieses Beitrages in der Mittagspause (ja, die habe ich jetzt, weil ich ausnahmsweise nicht trainiere) zwickt es mich auf einmal unglaublich stark in der Schulter. Was ist denn jetzt los? Muss ich unter Umständen so kurz vor dem Wettkampf noch eine Notoperation der Schulter über mich ergehen lassen oder ist die Verletzung mit Voltaren in den Griff zu bekommen? Sollte ich vielleicht Marianne anrufen und ihr mitteilen, dass sie die Schwimmstrecke übernehmen muss? Kann ich überhaupt starten? Schulter kaputt, starke Erkältung und erst noch schwere Beine… Während ich daran herumstudiere, fällt mir ein, dass mein Mountainbike schon lange nicht mehr im Service war. Genau genommen schon jahrelang nicht mehr. Sind die Bremsbeläge noch ok? Die Gänge richtig eingestellt? Wie soll ich denn das jetzt noch anstellen? Morgen früh möchten wir abfahren. Also Auto organisieren, Velo zu Bruno bringen, checken lassen („ist alles wie neu“, meint Bruno. Kein Wunder, ich habe das Bike auch schon lange nicht mehr gebraucht…), wieder nach Hause stressen. Und dort feststellen, dass die Vorwettkampfwoche trotz faktisch null Training fast schneller vorbeigegangen ist als eine intensive Trainingswoche. Gott sei Dank beginnt bald der Wettkampf. Dann ist die Stirnhöhlenentzündung endlich vorbei, die schweren Beine sind weg und ich kann mich schon ganz fest auf die postagonale Depression freuen. Dann, wenn alles vorbei ist und die grosse Leere eintritt. Nach der wir uns kurz vor dem nächsten Wettkampf dann wieder so sehnen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anonym hat gesagt…

Herrlicher Text! Und die "Erklärungen" wieso die Beine doch nicht sooo gut gedreht haben, folgen postwendend. Remember Macca: Splits sind im Triathlon nicht interessant, was zählt ist die Gesamtzeit - ohne wenn und aber!

Fabian Kremser hat gesagt…

Herzliche Gratulation zu eurem sensationellen vierten Rang! Für so ein tolles Ergebnis darf man gerne auch etwas Wahnsinn in Kauf nehmen, finde ich... ;-) Wünsche euch gute Erholung!

Fabian